Testimonials
Maria Niederstätter
Als unser Vater gestorben ist, hat Mutter das Handtuch geworfen. Heute fragen wir, ob vielleicht vorher erste Anzeichen da waren. Wir sechs Kinder haben diese jedenfalls nicht mitbekommen. Meine Mutter wollte nichts mehr. Sie wollte nicht mehr essen, sie wollte nicht mehr ihr Leben weiterführen. Wir haben das erst nach und nach bemerkt. Sie kochte jeden Tag, aber sie kochte für den Hund die Katze, aber nicht für sich.
Wir Kinder organisierten uns, damit am Abend jemand bei ihr war und mit ihr aß. Sie war froh, nicht allein zu sein, aber zu essen interessierte sie kaum mehr. Das machte sie sehr schwach. Als sie sich durch einen Sturz den Oberschenkel brach, war nach der Operation alles anders. Mutter konnte nichts mehr. So konnten wir sie nicht mehr allein lassen. Schon vorher hatte sie eine Betreuerin verweigert. Obwohl wir anfangs nur für ein paar Stunden jemanden beauftragt haben, Mutter ließ niemanden in ihr Haus. Sie saß vor der Tür und wehrte alle ab. Nur wir Kinder durften zu ihr. Nach der Operation am Oberschenkel blieb nur das Seniorenheim. Sie fühlte sich im „Hotel“ sehr wohl, „leider sind nur alte Leute hier“, meinte sie. Unsere Eltern hatten vorgesorgt, auch finanziell gab es kein Problem.
Es war trotzdem bitter. Wir wechselten uns ab, Mutter zwei Mal am Tag zu besuchen. Mit ihr da zu sitzen, ihre Hand zu nehmen, mit ihr zu ratschen, das machte sie glücklich. Und ich muss sagen, für mich sind das auch sehr wichtige Momente, die ich mit meiner Mutter erlebt habe. Dabei war das nicht immer leicht. Denn wenn ich von meiner Arbeit sprach, schlief sie ein. Das war zwar auch nicht schlecht. Aber was mit ihr reden? Sie hatte alles Gegenwärtige vergessen, wusste hingegen kleinste Details von früher. Wir Kinder waren für sie immer noch ihre kleinen Kinder. Das sorgte manchmal für sehr lustige Momente, es war aber auch bitter. Mit der Erinnerung ist auch Leben aus ihr verschwunden.
Zugleich sagte sie uns bis zuletzt: „Nie kommt mich jemand besuchen, immer bin ich allein.“ Dass gerade vorher jemand da war, erinnerte sie sich nicht. Das schmerzte. Zuzuschauen, wie die eigene Mutter immer mehr Hilfe braucht und nicht mehr die alte Rolle einnehmen kann, ist ohnehin auch für Erwachsene bitter. Mutter versuchte zwar, ihre Vergesslichkeit zu tarnen, aber das gelang ihr immer weniger. Sie versteckte Dinge, die nicht aufgeräumt waren, auch vor uns, noch mehr vor anderen. Irgendwie sind diese Dinge dann doch immer wieder in Vorschein getreten. Zum Beispiel, die Wäsche, die sie früher akkurat gebügelt und verräumt hat, war nun versteckt.
Vor den Ärzten gab sie sich sehr vernünftig. Wenn ihr aber Fragen gestellt wurden, z.B. „wieviel ist 20 plus 25, fragte sie zurück: „Muss ich das in meinem Alter noch wissen?“
Wir Kinder haben sie in ihrer Welt sein lassen. Niemand von uns hat versucht, sie zu korrigieren. Wir haben ihre Welt angenommen und uns mit ihr in ihrer Welt bewegt, so fern von der Gegenwart es auch war. Das war eine Herausforderung für jeden von uns. Und zugleich empfinde ich sehr viel Dankbarkeit dafür, wie glücklich sie war, wenn ich da war, ihre Hand hielt, wir über irgendwas sprachen, und wie selig sie dabei war. Diese Nähe herzustellen, zur Mutter, die am anderen Ende der Brücke ist und wir schauen mussten, da hin zu kommen. Das sehe ich als Auftrag.
Brigitte Foppa
In meinem näheren Umfeld bin ich mehrmals mit Demenz in Berührung gekommen, am nächsten traf mich die Erkrankung meiner Mutter. Es begann mit leichter Verwirrung während einer Zeit schwerer Belastung. Fünfzehn schwierige Jahre folgten. Meine schlagfertige, lebensfrohe, gescheite Mamma verlor langsam Teile ihrer selbst. Meistens meint man, dass Demenz zwar für die Angehörigen schlimm ist, nicht aber für die Betroffenen selbst, da diese ja nichts mitbekämen. Bei uns war das nicht so, der Verlust ihrer vielen Fähigkeiten wog für meine Mutter schwer. Lange war es noch möglich, im Kirchenchor zu singen (wobei alle mithalfen), den Garten zu pflegen und, oft staunten wir, die Großfamilie mit köstlichem Essen zu bekochen. Die letzten Jahre war ein gesamtes Team in ehrenamtlichem und hauptamtlichem Einsatz, wir hatten einen genauen Pflegeplan. Oft war es bedrückend, oft auch unvorstellbar heiter. Wir haben jede Gelegenheit zum Lachen wahrgenommen, zum Weinen war sowieso Gelegenheit genug.
Oft habe ich gehadert, mir eine andere Krankheit für meine Mutter gewünscht, anfangs war es auch peinlich. Die Auseinandersetzung mit Demenz ist eine völlig andere als jene mit anderen Krankheiten. Unterschwellig wird oft suggeriert, dass es eine Verantwortlichkeit für Demenz gäbe, dass sich die Kranke nur zusammenreißen müsse. Ich habe viel persönliche Hilfestellung, zugleich aber auch eine große gesellschaftliche Unbeholfenheit erlebt. Sie wird sich erst verringern, wenn es normal sein wird, über Demenz zu reden wie über eine andere Krankheit.
Deshalb bin ich heute hier und deshalb bin ich froh, dass ASAA immer wieder die Konfrontation mit dem Thema herausfordert. Auch wenn es weh tut und wir an unsere Grenzen stoßen – nur so wird die ungeliebte Demenz einen Platz in der Gesellschaft finden und mit ihr jene, die daran leiden. Nicht allein sein, sich nicht verstecken müssen, auf Verständnis stoßen … das heilt sicher keine Demenz; wenn das Leiden daran aber ein wenig gemildert würde, wäre das auch schon ein großer Schritt. Ein Schritt, den wir alle tun können.
Vincenzina Braghini
Wenn ich an die Zeit denke, bevor ich die Angehörigentreffs der ASAA gefunden habe, erinnere ich an mein Leben wie in einem Tunnel. Ich weiß noch, dass mir die Tränen gekommen sind, als ich in der Selbsthilfegruppe das erste Mal mit Anderen über meine Situation reden konnte.
Am allerwichtigsten ist: Meiner Mutter geht es heute wieder besser. Seit es mir wieder gut geht, geht es auch meiner Mutter besser. Ich habe im Laufe der regelmäßigen Gespräche in der Gruppe gelernt, mich besser in die Lage meiner Mutter versetzen zu können. Das hat mir enorm viel gebracht. Es tut mir als Tochter nicht mehr weh, wenn meine Mutter mich nicht erkennt, obwohl ich jeden Tag für sie da bin. Sie lebt in ihrer eigenen Welt und nicht in derselben Realität wie ich. Das nachempfinden zu können, gibt mir Kraft und auch ein gutes Gefühl für meine Mutter.
Sie war vor rund fünf Jahren an Alzheimer erkrankt. Der Verlauf der Krankheit hat anfangs zu stärker werdenden Symptomen geführt. Ich musste immer mehr für sie da sein und wusste gar nicht, wie mir geschah. Eigentlich habe ich auch nicht genau bemerkt, wie überfordert ich schon war.
Durch einen Zufall habe ich von den ASAA-Angehörigentreffs erfahren. Ich muss schon sehr angespannt gewesen sein, denn ich meldete mich sofort an. Das war nach ungefähr drei Jahren, die ich meine Mutter allein gepflegt habe.
Fast allen, die zum erstem Mal in unsere Gruppe treffen, sieht man an, welcher Stein ihnen vom Herzen fällt, erzählen zu können und auch zu hören, dass wir viele Probleme kennen und manche davon auch haben lösen können. Hilfreich ist, dass jedes zweite Mal ein/e Expert/e, etwa ein Arzt oder eine Psychologin zu uns kommt, an die wir unsere Fragen richten. Wir profitieren alle davon.